Redebeitrag Pastor Hans-Christoph Plümer zum Holocaust-Gedenktag 2021

27.01.2021

Als die ersten sowjetischen Soldaten am 27. Januar 1945 die Tore des Konzentrationslagers Auschwitz öffneten, bot sich ihnen ein Bild unvorstellbaren Grauens. Es war und ist bis heute mit Worten kaum zu beschreiben. Es war, es ist und es bleibt in seinem Ausmaß einzigartig und ist mit nichts zu vergleichen.

Als die ersten sowjetischen Soldaten am 27. Januar 1945 die Tore des Konzentrationslagers Auschwitz öffneten, bot sich ihnen ein Bild unvorstellbaren Grauens. Es war und ist bis heute mit Worten kaum zu beschreiben. Es war, es ist und es bleibt in seinem Ausmaß einzigartig und ist mit nichts zu vergleichen.

Heute begehen wir den 27. Januar als internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Wir erinnern uns daran, dass die Naziherrschaft Millionen Menschen das Leben kostete. Sie starben als Opfer des zweiten Weltkrieges. Sie starben als ethnisch, politisch und religiös verfolgte Menschen in grausamer Lagerhaft, gefangen, gequält und am Ende ermordet.

Es hat lange, sehr lange gedauert, bis in Deutschland das Leid der Verfolgten überhaupt wahrgenommen wurde. Nach Kriegsende und in der Zeit der frühen Bundesrepublik war es kein öffentliches Thema. Erst der Prozess gegen Adolph Eichmann, der im Reichssicherheitshauptamt der SS die Verschleppung und Ermordung der Juden Europas organisiert hatte, lenkte die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf das lange verdrängte Thema. Der Prozess gegen den Hauptorganisator der Vernichtung der europäischen Juden fand nicht in Deutschland statt, sondern in Israel. In der Folge aber kam es schleppend in der Bundesrepublik zu einer quälend mühsamen juristischen Bearbeitung dessen, was in Auschwitz und anderswo den Verfolgten des Naziregimes angetan worden war.

Mühsam lichtete sich das Dunkel der Sprachlosigkeit. Die Angehörigen und Nachfahren getöteter Juden, Sinti und Roma, und sog. politische Verbrecher hatten Mühe, ihre Stimme zu Gehör zu bringen und darüber zu erzählen, was ihnen oder ihren Angehörigen entsetzliches angetan worden war. Die mühselige Arbeit der Aufarbeitung, des Aufklärens, des Eingestehens politischen Versagens war ständig begleitet von den Stimmen derer, die das Leid relativierten, verglichen oder gar leugneten, was in den Vernichtungslagern und Gefängnissen geschehen war.

Viele, die hören und wissen wollten, was die Nazibarbarei angerichtet hatte, sahen sich lange Zeit einer Mauer des trotzigen Schweigens gegenüber. Bis weit in die 70er Jahre konnte man es als Schüler im Geschichtsunterricht erleben, dass die jüngere deutsche Geschichte eher im Vorübergehen behandelt und die Nazizeit als peinlicher Ausrutscher im Leben eines ansonsten großartigen Kulturvolkes behandelt wurde.

Diese Sichtweise wird am rechten politischen Rand bis heute noch verteidigt. Sie hat fatale Konsequenzen, denn sie befördert das Aufleben eines inzwischen nicht mehr nur am Rande der Gesellschaft vorkommenden Antisemitismus. Wir erleben in unserer Zeit sehr eindrücklich, wie antijüdische Hassreden und Verschwörungsmythen das gesellschaftliche Klima zu vergiften drohen. Soziale Abstiegsängste befeuern eine Beschädigung und Zerstörung der Gesprächskultur in unserem Gemeinwesen.

Hassrede tarnt sich als Meinungsfreiheit. Es wird in sozialen Medien gehetzt und gepöbelt. Dabei werden bedenkenlos strafrechtliche Schranken versucht niederzureissen. Es wird Zeit, dass diejenigen, die einen demokratischen Diskurs in Konfliktfragen in unsrer Gesellschaft wollen, diesen Tonfall nicht hinnehmen. Gewalt gegen Menschen beginnt mit der Verrohung der Sprache.

Am 27. Januar 1945 wurde für die Augen der Welt das Ergebnis einer konsequent unmenschlichen Politik sichtbar, die mit einer Verrohung der Sprache Jahrzehnte vor diesem Datum begonnen hatte. Erinnern wir uns an die Folgen, die die anfänglichen Worte gehabt haben. Die Opfer der Nazidiktatur mahnen uns die Folgen von inhumanem Denken und Handeln niemals zu vergessen.