Redebeitrag Ayala Nagel zum Kundgebung am 21. Mai 2021

21.05.2021

Danke, dass Sie gekommen sind und damit zeigen, dass Antisemitismus und Judenhass von uns nicht akzeptiert werden und wir an der Seite Israels stehen.

Ich freue mich sehr über die Unterstützung der Stadt Norderstedt und namentlich von Frau Stadtpräsidentin Oheme und Frau Oberbürgermeisterin Roeder. Und ich freue mich sehr über Ihre Anwesenheit, lieber Herr Carstensen. Als Beauftragter des Landes Schleswig- Holstein für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus kommt Ihnen eine ganz besondere Aufgabe im Kampf gegen Antisemitismus zu.

Die musikalische Unterstützung heute kommt von Stella Morgenstern und Andreas Hecht.

- Als Verein Chaverim wollen wir mit der heutigen Veranstaltung ein Signal unserer Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland senden.

- Es geht darum, wie wir in DEUTSCHLAND miteinander umgehen. Und wie „normal“ jüdisches Leben in unserem Land sein kann.

- Für mich als Jüdin, die seit über 20 Jahren in Norderstedt lebt, war die breite Unterstützung dieser Kundgebung in der Stadtvertretung am Dienstag ein sehr bewegender Moment. Für diese Unterstützung möchte ich mich noch einmal bei den Fraktionen und der Stadt Norderstedt herzlich bedanken.

- Bedanken möchte ich mich auch bei allen, die diese heutige Veranstaltung organisatorisch unterstützt haben, bei der Stadt Norderstedt, den vielen anderen Unterstützern und Partner des Vereins und den Mitgliedern von Chaverim.

- Als Israelin habe ich mir in den letzten Tagen viele Sorgen um meine Familie und meine Freunde in Israel gemacht. Das Sirenengeheul, ausgelöst durch mehr als 4000 Raketen, habe ich selbst am Telefon gehört. Es trieb meine Familie immer wieder in ihre Schutzräume wo sie den Knall abgefangener Raketen und auch Raketeneinschläge hörten. Gott sei Dank blieben sie alle wohlbehalten. Die Kinder meiner Freundinnen konnten nicht zur Schule gehen, das öffentliche Leben stand still, die Angst war groß.

- Auch im Gazastreifen litt die Bevölkerung unter der Gewalteskalation. Hamas versuchte israelische Zivilisten zu töten und nutzte die Bevölkerung in Gaza als Schutzschild.

- Unsere Solidarität gilt der Bevölkerung in Israel und in Gaza.

- Heute morgen um 2 Uhr Ortszeit wurde ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas
geschlossen. Dieser Waffenstillstand scheint zu halten. Das ist eine sehr gute Nachricht für die wir sehr dankbar sind.

- Israels Abwehrkampf gegen die entsetzlichen Angriffe der Hamas hat leider auch in Deutschland zu einer neuen Welle des Hasses gegen Juden geführt.

- Wir sind zutiefst erschrocken, dass Judenhass so massiv auf unseren Straßen und in sozialen Netzwerken ausbrach, und dass dabei auch Menschen verletzt wurden.

- Von Chaverim setzen wir uns seit vielen Jahren dafür ein, dass jüdisches Leben in Deutschland „normaler“ und sichtbarer sein kann.

- Antisemiten lehnen diese Normalität ab. Juden sind für sie ein Feindbild, oft auch nur eine krude Fiktion des Bösen.
o Judenwerdengehasst,weilsiealleineverantwortlichgemachtwerdenfürdie andauernden Konflikte im nahen Osten.
o Judenwerdengehasst,weildiebloßeErinnerungandieSchoahfürmancheals störend empfunden wird und als etwas, dass einer aus ihrer Sicht gesunden nationalen Identität Deutschlands im Wege steht.
o Judenwerdengehasst,weilalteVorurteileinimmerneuenVerschwörungstheorien am Leben gehalten, verbreitet und geglaubt werden.

- In der Statistik lässt sich das in einer Zahl zusammenfassen: 2.275 „judenfeindliche Straftaten“ hat die Polizei im vergangenen Jahr registriert.

- Hier in Norderstedt zeigen wir heute Gesicht und stehen auf gegen Judenhass.

- Sie zeigen heute, dass Juden nicht alleine gelassen werden angesichts dieses Hasses.

- Als Israelin, Jüdin und Bürgerin von Norderstedt bin ich Ihnen für diese Solidarität sehr dankbar. Sie geben mir damit ein sehr gutes Gefühl.

Damit jüdisches Leben dauerhaft in unserem Land fortbestehen kann, braucht es eine viel ernsthaftere Auseinandersetzung mit Judenhass, egal ob er von Rechtsextremen, Linksextremen oder Muslimen kommt.

- Dazu gehört professionelles Handeln bei antisemitischen Vorfällen, zum Beispiel an Schulen.

- Vor allem aber gehört dazu eine systematische Prävention von Antisemitismus.

- Chaverim engagiert sich hier mit einem eigenen Fortbildungsangebot für Lehrkräfte und andere Multiplikatoren. Und wir bemühen uns um möglichst viele Gelegenheiten zur Begegnung.

- Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage vor einigen Jahren [2017] wusste nicht einmal die HÄLFTE der befragten Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren, was Auschwitz-Birkenau war.

- Das zeigt: Der Bedarf für eine systematische Prävention ist sehr groß. Zu diesem Thema gäbe es noch vieles zu sagen

– ich möchte es hier dabei belassen, abschließend drei Aspekte zu erwähnen, die in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind.

- Ich beziehe mich dabei auf die drei Gründe, die ich eben genannte habe, warum Juden gehasst werden.

Erstens: Israelbezogener Antisemitismus ist ein fester Bestandteil ALLER Extremismus- Formen. Das bedeutet aber NICHT, dass muslimischer Antisemitismus gleichzusetzen wäre mit Islamismus. Viele junge Muslime kommen früh mit antisemitischen Vorstellungen in Kontakt. Sie identifizieren sich mit dem Leid der Palästinenser und ihr Gerechtigkeitsempfinden ist oft zutiefst verletzt. Zugleich fehlt ihnen oft das Wissen über die komplizierte Geschichte des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern. Dieser Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts braucht endlich einen festen Platz im Schulunterricht.

Zweitens: Die Erinnerung der Schoah steht der nationalen Identität Deutschlands nicht entgegen – sie ist ein wertvoller Teil von ihr. Wer als Deutscher das Wort „Jude“ hört, denkt vermutlich immer noch zuerst an die Verbrechen des Nationalsozialismus. Als Israelin und Deutsche sage ich: „Nie wieder Auschwitz“ – diese Losung soll nicht bedeuten, sich auf ewig als Deutscher zu schämen oder schuldig zu fühlen. Sondern Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Menschen nie wieder anderen so etwas antun. Das als positiven Wert zu vermitteln, halte ich angesichts des sogenannten sekundären Antisemitismus für ganz bedeutsam.

Drittens: Verschwörungstheorien enthalten nicht immer, aber in den meisten Fällen, einen antisemitischen Kern. Die allermeisten Menschen glauben aber nicht an Verschwörungstheorien, weil sie Juden hassen. Ängste, ein Unbehagen gegenüber dem Prinzip Zufall und das Nicht-Aushalten-Können von Widersprüchlichkeiten sind oft die eigentlichen Gründe. Wer an diesen Ursachen ansetzt, bekämpft auch das Verschwörungsdenken – und leistet zugleich einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Verbreitung antisemitischer Wahnvorstellungen.

Ayala Nagel