Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Norderstedterinnen und Norderstedter,
vielen Dank, dass Sie heute mit uns der Reichspogromnacht vor 86 Jahren in Deutschland gedenken.
Bis 1978 war der 9. November übrigens ein Tag wie jeder andere.
Erst 1978, also 40 Jahre nach der Reichspogromnacht ändert sich das. Helmut Schmidt setzt ein Zeichen, besucht an jenem Tag die Kölner Synagoge und hält die erste Rede eines Bundeskanzlers zu den Ereignissen von 1938.
Seit vielen Jahre gedenken wir auch in Norderstedt hier an der Stelle des früheren KZ Wittmoor des 9. November 1938.
Häufig habe ich dabei Erzählungen und Gedichte von Holocaust Überlebenden zitiert. Gemeinsam wollen wir die Erinnerung wachhalten, damit menschenverachtende antisemitische Ideologien, die zu Demütigungen, Misshandlungen, Verhaftungen und Morden an Juden führten, nie mehr einen Nährboden in unserer Gesellschaft finden.
Ich danke unserer Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder und meinem Vorstandskollegen Christoph Plümer für Ihre Worte, die der heutigen Veranstaltung einen würdigen Inhalt geben.
Es war nicht geplant, dass ich heute spreche und tue das nur aus aktuellem Anlass.
Wir, die Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa, brauchen Ihre Hilfe. Wir fühlen, dass wir wieder an einem Scheideweg stehen.
Heute, 86 Jahre nach der Reichspogromnacht richtet sich mein Blick nicht auf Erzählungen und Gedichte von Holocaust Überlebenden. Wir erleben ein Déjà-vu in Europa.
„Wir haben die jüdische Gemeinschaft während des zweiten Weltkriegs im Stich gelassen. Letzte Nacht haben wir wieder versagt.“
Diese Sätze sagte der niederländische König Wilhelm Alexander nachdem, was am Donnerstagabend in Amsterdam passiert ist.
Ein antisemitischer Mopp jagte israelische Fußballfans durch die Stadt. Männer brüllten auf arabisch, kontrollierten Pässe von Passanten auf der Suche nach Juden. Die israelischen Fans wurden durch die Straßen gehetzt, verprügelt, mit Messern angegriffen, mit Autos überfahren und in Grachten geworfen.
Die Bilder und Videos aus den sozialen Medien machen fassungslos. Wie kann es mitten in Europa dazu kommen? Sollte uns das wirklich überraschen?
Wir scheinen überfordert zu sein.
Auch in Deutschland erleben wir seit dem 07. Oktober eine massive Propaganda in den sozialen Medien,
• die alle Juden für einen angeblichen Genozid in Gaza verantwortlich macht,
• Hassgegen Juden schürt,
• Israel das Existenz recht abspricht
• und sogar zur Ermordung von Judenaufruft.
Wir haben seit dem 07. Oktober auch Szenen gesehen, in denen Menschen Pogrome an Juden feiern.
Es sind Bilder, die unserem Verständnis von Zusammenleben, Migration und Integration zuwiderlaufen.
Es fehlen uns Antworten auf diese Herausforderungen und der Umgang mit diesen Themen ist für viele schwierig, weil Wasser auf die Mühlen von Rechtsradikalen.
Diese Bilder generieren ein transgenerationelles Trauma bei vielen Jüdinnen und Juden und führen Ihnen vor Augen, wie wichtig ein jüdischer Staat als Zufluchtsort für die europäischen Juden ist, die sich von der neuen Realität bedroht sehen.
Vor diesem Hintergrund danke ich Ihnen auch ganz persönlich, dass Sie heute gekommen sind und Haltung zeigen.
Sie geben mir Hoffnung, dass wir in Norderstedt nicht noch einmal die jüdische Gemeinschaft im Stich lassen.
Dass wir nicht noch einmal versagen, sondern uns den aktuellen, schwierigen Herausforderungen proaktiv stellen und Antworten finden.
Dass wir nicht wegschauen, sondern uns schützend vor unsere jüdischen Mitbürger stellen.
Dass wir Hass, Diskriminierung und Gewalt gegen Juden bei uns nicht tolerieren.
Herzlichen Dank dafür.